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Anamnese

Das erste Patienten-Gespräch – die Anamnese

Anamnese – was ist das, wie läuft sie ab und was sind die Herausforderungen einer Anamnese beim Tier? Du wirst am Ende wissen, wie eine gute Anamnese für deinen Hund oder auch für dich selbst aussehen sollte.

Zwei Beispiele aus der Praxis zeigen, wie man entweder vom Verhalten des Tieres oder von der Ursache der Beschwerden ausgehen kann, um zum richtigen Mittel zu finden.

Anamnese – klingt seltsamer, als es ist 🙂

Das Wort Anamnese kommt aus dem Alt-Griechischen und bedeutet “Gedächtnis, Erinnerung”. Das Ziel ist die Erfassung der Krankheitsgeschichte.

In der Homöopathie gibt es Regeln, wie man das richtige homöopathische Mittel finden kann. Am Anfang jeder Mittelfindung steht das Patienten-Gespräch, die Anamnese. Hier werden alle Symptome nach bestimmten Kriterien aufgenommen.

Dr. Hahnemann, der Begründer der Homöopathie, widmet der Durchführung dieses Gespräches mehrere Paragrafen in seinem Buch “Organon der Heilkunst”, kurz Organon.

Anamnese beim Tier

Die Anamnese bei Tieren ist schwieriger als bei Menschen. Da Tiere nicht sprechen können und uns Ihre Kommunikation oft nicht leicht zu erschließen ist, sind wir auf die HalterInnen angewiesen. Die Schilderung von Tierhaltern ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Allzu oft sind wir als Tierhalter, speziell als Hundehalter, bei allen Bemühungen recht betriebsblind. In unserer Liebe zu dem Tier neigen wir dazu, ihr Verhalten doch mehr Menschen-ähnlich zu interpretieren, als es neutral betrachtet richtig ist.

Menschliche Interpretation

In meiner Praxis ist mir immer wieder aufgefallen, dass Tiere sich je nach Umgebung, Zeit und insbesondere Bezugsperson ganz unterschiedlich verhalten können. Nicht nur einmal hatte ich im Anschluss ein Telefonat mit der/dem HundetrainerIn, das ungefähr so ging:
“Püppi ist mir XYZ vorgekommen und hat sich hier XYZ verhalten und ABC kaum gezeigt.” Und der/die HundetrainerIn antwortete: “ Püppi zeigt bei mir immer ABC und auch HundehalterIn reagiert oft darauf, obwohl ich XYZ empfehle.”

Hunde und Tiere ganz allgemein reagieren erheblich flexibler auf Umgebung, Zeiten und die Energien, die man ihnen entgegenbringt, als wir das als Menschen gewohnt sind. Sie beurteilen ihre Lage spontaner und sind Meister in der Anpassung. Genau das macht eine homöopathische Anamnese oft schwer. Gerade wenn man wenige körperliche Symptome zur Verfügung hat, an denen man sich in der Mittelfindung entlanghangeln könnte, ist es schwierig aus den Schilderungen der Besitzer tatsächlich anamnestisch verwertbare Symptome zu finden.

Anamnese in der Praxis

Zu Anfang meiner Praxistätigkeit habe ich mir einen Anamnesebogen für den Humanbereich auf das Hundeverhalten umgeschrieben. Das gab mir die nötige Orientierung. Anfangs ist es mühsam, in der Länge einer oft ein- bis anderthalb stündigen Anamnese nicht den Faden zu verlieren ist. Ich bin jedoch schnell dazu übergegangen, ihn nur noch mit Stichwörtern auszufüllen und habe ihn nach ungefähr anderthalb Jahren ganz weggelassen und die Anamnese notiert, wie sie kam.

Erster Eindruck

Unser erster Eindruck vermittelt uns eine wertvolle Information. Wir sind seit Jahrtausenden auf die Richtigkeit unseres ersten Eindruckes angewiesen. Meistens sind die ersten Instinkte, die wir bezüglich einer Situation, einer Person oder eines Tieres haben, nicht verkehrt. Je mehr Erfahrung wir ansammeln, desto verlässlicher ist unser erster Instinkt.

In der Praxis bewährte sich der erste Eindruck, den man sammeln kann, wenn der Hund und/oder das Mensch/Hund-Gespann das erste Mal an die Tür kommen oder auf den Parkplatz fahren. Wenn es ging, habe ich die Patienten schon beim Aussteigen aus dem Auto beobachtet. Wie kommt ein Hund aus dem Auto? Wie betritt er eine fremde Fläche? Auf welche Weise geht er auf fremde Türen und Personen zu? Und wie geht der/die HundebesitzerIn mit dem Hund um und umgekehrt? All das sagt oft schon so viel mehr aus, als man es durch direkte Fragen je herausfinden könnte.
Dasselbe trifft auf Erstbegegnungen mit Hunden auf Hundeplätzen oder beim Spaziergang zu.

Hier geht es nicht um eine Einteilung in “gut” oder “weniger gut”. Die Beobachtungen werden nicht gewertet. Was uns dabei auffällt, hilft uns bei der Suche nach einem Konstitutionsmittel.

Bei Pferden kann man im gegenseitigen Umgang viel Information über die Psyche bekommen. Wie kommt das Pferd an das Gatter, aus der Box, wie steht es auf der Stallgasse? Jede Bewegung kann Hinweise auf seine Persönlichkeit geben.

Durchführung einer Anamnese

Das Hauptmerkmal eines Anamnesegespräch, egal ob bei Mensch oder beim Tier, ist der spontane Bericht des Menschen oder des Tierbesitzers. Wie sollte man dabei vorgehen und welche Fallstricke gibt es?

§§ 83 bis 104 und §§ 206 bis 208 des Organon beschreiben die Kunst der “Erforschung der Krankheit”.

Beim Anamnesegespräch mit einem Menschen ist es wichtig, dem spontanen Bericht des Patienten unvoreingenommen zuzuhören und sich lediglich Notizen zu machen. Der Behandler notiert die Information des Patienten ungefiltert, das heißt ohne Zwischenfragen.

Schon in diesem ersten ungestörten Bericht kann man mit etwas Glück die ersten Anhaltspunkte für eine weitere Gesprächsführung finden. Diese ist dann geführt von genaueren Nachfragen, wo sich psychische, geistige Symptome mit körperlichen Beschwerden und Zeichen eventuell abgleichen lassen und so ein roter Faden zu finden ist, dem man weiter folgen kann.

Wie findest du den roten Faden?

Man kann sich eine homöopathische Anamnese wie einen Haufen Fäden vorstellen, bei dem man den Roten finden möchte. Manchmal liegt der obenauf, manchmal lugt er hervor, manchmal ist er ganz versteckt. Im Anamnesegespräch für ein Tier ist es wichtig, die wesentlichen, für die Mittelfindung relevanten Aspekte der Schilderung des Tierbesitzers von den Unwesentlichen zu unterscheiden.

Es ist wichtig zu wissen, wie sich Hunde ganz allgemein und je nach Rasse-Zugehörigkeit normalerweise verhalten.
Wenn du schon viele Jahre Hunde beobachtet und Fachkenntnisse ihres Verhaltens hast, gelingt dir die Suche nach dem Mittel leichter. Kombiniere deine Kenntnisse mit den Beschreibungen in den großen Mitteln der Homöopathie. Je besser du die einzelnen Konstitutionsmittel verinnerlicht hast, desto schneller findest du den roten Faden.

Erst Verhaltensweisen, die innerhalb der Rasse und innerhalb der Gattung Hund nicht zum normalen Verhalten gehören, kommen dann für die Mittelfindung in Betracht. Es ist wichtig, das Verhalten des Tieres möglichst nicht zu vermenschlichen. Selbstverständlich haben auch Tiere Gefühle und sind Stimmungen und Hormonen ausgeliefert. Darin unterscheiden sie sich nicht sehr von uns Menschen.

Ungewöhnliche und auffällige Symptome

Die Frage, die sich für Behandler in der Anamnese stellt, ist die nach auffälligen und ungewöhnlichen Symptomen. Sowohl geistig als auch körperlich. Wir suchen nach allem, was wirklich auffällig und ungewöhnlich ist, im Gegensatz zu dem, was im Alltag der Rasse und im Alter des Tieres weitgehend normal ist.

In der Mehrzahl der Fälle reichen drei bis vier Haupt-Symptome aus. Unter Haupt-Symptomen sind in der Mittelfindung Symptome zu verstehen, die in der Mittelbeschreibung der Materia medica im FETTDRUCK GESPERRT oder im normalen Fettdruck vorkommen. Wenn man solche Symptome findet, hat man den Anfang des roten Fadens in der Hand, und muss dann nur noch ein paar weitere Symptome, z. B. mithilfe einer Materia medica, abfragen.

Gibt es eine Ursache für die Beschwerden?

Einfacher ist es, wenn eine eindeutige Ursache in der Verhaltensveränderung oder der krankhaften Symptomatik zu erkennen ist. Eine eindeutige Ursache wäre z. B. eine Verletzung, ein Unfall, falsches Futter und dergleichen.

Hier fragt man nach dem Erkennen der Ursache zuerst die körperlichen Symptome ab. In solchen Fällen sind Verhaltens-Symptome an die zweite Stelle zu setzen. Auch hier gilt wieder bei den Verhaltens-Symptomen, die die Mittelwahl bestätigen sollen, nimmt man nur die ungewöhnlichen, außergewöhnlichen, auch außergewöhnlich für die derzeitige Situation des Tieres auftretenden Verhaltensweisen.

Beispiel für eine Anamnese mit Schwerpunkt Verhalten:

Eine eineinhalbjährige Retriever Hündin, unkastriert, hat wiederkehrenden gelblichen Ausfluss. Eine tierärztliche Untersuchung ergab keine weiteren Auffälligkeiten. Die Besitzerin möchte sie noch nicht kastrieren lassen, macht sich aber Sorgen über den Ausfluss und fürchtet sich vor einer Gebärmuttervereiterung.

Die Hündin kommt freundlich wedelnd in die Praxis, schmiegt sich vertrauensselig an den Behandler, lässt sich problemlos überall anfassen, sucht Tuchfühlung mit ihrer Besitzerin und ist ein unkompliziertes freundliches Wesen. Körperliche Auffälligkeiten sind außer dem Ausfluss nicht zu erkennen. Auf Nachfrage erzählt die Besitzerin von braunem Ohrensekret, das manchmal auf der rechten Seite auftritt. In der Scheinträchtigkeit habe sie kaum gefressen und auch sehr wenig getrunken. Ihre Spielzeuge wurden intensiv bemuttert. Sie wurden gegen andere Hunde erstaunlich deutlich verteidigt.

Auf Nachfrage wird beschrieben, dass das Sekret nicht stinkt. Der Ausfluss sei weißlich, nur manchmal hell gelblich und ebenfalls geruchslos. In diesem Fall kann man es mit Pulsatilla C30 oder C200 versuchen. Das Verhalten des Hundes weist auf Pulsatilla hin, die körperlichen Merkmale dienen der Bestätigung.

Beispiel für eine Anamnese mit Schwerpunkt Ursache:

Ein zweijähriger Schäferhund-Rüde, unkastriert, hat sich zum Kummer seines Besitzers gar nicht so entwickelt wie gewünscht. Nach einem Frontalzusammenstoß mit einer Anhängerkupplung als Welpe, musste er einige Tage in der Klinik bleiben. Die Schädeldecke war unverletzt und nach einigen Tagen ging es vermeintlich gesund wieder nach Hause.

Der Welpe wurde größer und zeigte Verhaltensauffälligkeiten wie plötzliche Aggression, aber auch plötzliche Angst und Panikattacken. Die Angst und Panikattacken waren so schwer, dass Mobiliar im Haus zu Bruch ging, wenn der Hund versuchte, sich vor den angsteinflößenden Gespenstern zu verstecken. Da der Hund groß und schwer geworden war, wurde es für den Besitzer schwierig, ihn beim Spaziergang überhaupt unter Kontrolle zu bringen. Kleinere Tiere oder Hunde drohten ums Leben gebracht zu werden, wenn es dem Hund angebracht schienen. Oder er versuchte in Panik zu fliehen, wenn eines der Gespenster, die nur er sah, im Weg war. Der Besitzer war sich aber sicher, dass der Welpe normal gewesen war. Und wollte sich deswegen nicht von dem Tier trennen.

Hier ist das Verhalten natürlich sehr interessant, aber die Ursache für die Verhaltensänderung, ist vermutlich der Zusammenstoß mit der Anhängerkupplung. Eventuell hat der Hund einen Schaden des Frontallappens im Gehirn zurückbehalten, der eine Impulskontrolle erschwert. In diesem Fall ist das Verhalten nur eine Bestätigung für den Schaden, der angerichtet worden ist.

Schäden körperlicher Art durch sogenannte stumpfe Traumen lassen sich am besten durch das Mittel Arnica behandeln. Hier ist es in der Homöopathie unerheblich, ob es sich um eine Schädigung in Form eines Blutergusses, eines blauen Fleckens, einer Quetschung oder eines Zusammenstoßes handelt. Da die Schädigung schon so lange zurückliegt, versuchen wir es mit einer Hochpotenz Arnica C 10.000 einmal zwei Globuli.

Im weiteren Verlauf kann die Ängstlichkeit des Tieres mit entsprechenden Folgemitteln behandelt werden.

Zusammenfassung

Je nach Situation des Hundes/Tieres findet man das passende homöopathische Mittel über zwei Wege in der Anamnese.
Ist eine Ursache bekannt, lohnt es sich, ein Repertorium danach zu durchsuchen.
Sind nur wenige körperliche Symptome ersichtlich, kann man über das Verhalten des Tieres oft auf das richtige homöopathische Mittel kommen.

Buchempfehlung:

Ulrich Kohler, Hilfe zu Samuel Hahnemanns Organon der Heilkunst, Hahnemann Institut
ISBN: 3-929271-17-6

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