Hunde mit Seele
Von der Tierhomöopathie zur Verhaltenshomöopathie
Das Verhalten von Tieren hat in der Tierhomöopathie schon immer eine Rolle gespielt.
Wie es dazu kam
Es war das Jahr 1796, als Dr. Samuel Hahnemann einen ersten Arzneimittelversuch mit Chinarinde an sich durchführte. Er wollte Argumente eines ärztlichen Kollegen aus England an sich prüfen. Die Ergebnisse führten ihn zur Erkenntnis, dass die seit der Antike bekannte Weisheit „Ähnliches wird durch Ähnliches geheilt“ als Therapiegrundsatz anwendbar ist. Durch seine Form der Arzneimittelprüfung und Herstellung der Arzneien begründete er eine besondere Therapieform: die Homöopathie.
Zu dieser Zeit gab es die heutige Medizin nicht. Tierärzte waren erst seit der Mitte des 18. Jahrhunderts im Rahmen ihrer damaligen Möglichkeiten tätig. Durch den 30jährigen Krieg war die Bevölkerung auf 7 Millionen Menschen in ganz Deutschland dezimiert worden. Tierseuchen, wie die Maul-und Klauenseuchen, Pferderotz (das Pferd als wichtigstes Transportmittel), Geflügel- und Schweinepest, hatten ganze Bestände an Nutztieren vernichtet.
In der Tierheilkunde wurde die Homöopathie fast von Anfang an mit eingesetzt. Eine erste Veröffentlichung „Vorschläge zur Behandlung kranker Hunde“ gab es im Jahr 1815 von Christian Heinrich Donauer, dem Coburger Hofapotheker.
Ansichten zum Tier und seinen Gefühlen
Hahnemann selbst hielt 1829 an der Universität Leipzig einen Vortrag über „Homöopathische Heilkunde der Hausthiere“. Sein 12-seitiges Manuskript wurde erst 1989 vollständig veröffentlicht.
Hahnemann erklärte dem vermutlich staunenden Publikum: „Thiere sind mit einem Worte durch die homöopathische Heilart wenigstens ebenso sicher und gewiß, als die Menschen zu heilen…“
Gustav Wilhelm Groß, der Arzt und Mitbegründer der Allgemeinen Homöopathischen Zeitung (eine Fachzeitschrift, die es im Thieme Verlag bis heute gibt), brachte 1830 einen Aufsatz zur Tierhomöopathie heraus. Tierheilungen auf homöopathischem Wege seien der beste Beweis, dass die Wirkung nicht auf Suggestion beruhe, schrieb er.
Und… dass der Erfolg bei Tieren noch sicherer sei, als beim Menschen, „…denn jene schweifen nicht so aus, als diese, begehen keine Diätsünden und sind leidenschaftsloser…“
Philosophen, die Tierwelt und Gefühle
Die Philosophen Descartes (geb. 1596) und Spinoza (geb. 1632) propagierten eine Trennung von Seele und Materie (Körper). Dieses materialistische Weltbild propagierte die fehlende Vernunft von Tieren. Sie stellte den Menschen über alles. Mit den bis in die heutige Zeit verheerenden Folgen – nicht nur für Nutztiere, sondern für die Tierwelt ganz allgemein.
In den folgenden Jahrhunderten wurden weitere vielfache Überlegungen zu der Seele von Tieren, ihrer Fähigkeit Schmerz zu empfinden und die Art ihrer Nutzung angestrengt. Von Goethe über Herder, Leibniz zu Schopenhauer und vielen anderen gab es auch Stimmen, die den Tieren seelisches Empfinden über ihre Instinkte hinaus zugestanden.
Praktisch führte dies nicht zu einer „Aufwertung“ unserer Mitgeschöpfe. Der Mensch, mit seiner Fähigkeit zu denken und in die Zukunft zu planen, war nicht in der Lage, sein Verhalten den Tieren gegenüber, an diese neuen Erkenntnisse anzupassen.
Auch in unserer Zeit gibt es noch Menschen, die anzweifeln, dass Säugetiere Gefühle wie Liebe, Trauer, Kummer, Wut, Hass und Eifersucht haben können. Andere menschliche Gefühle wie Neid, Gier, Eitelkeit scheinen den Tieren fremd zu sein.
Der Ausdruck von Gefühlen, die Art und Weise wie ein Individuum agiert und reagiert, ist von Anfang an wesentlicher Bestandteil jeder homöopathischen Fallaufnahme (Anamnese). Das gilt auch für Tiere.
Arzneimittelprüfung am Tier
Zwischen den Homöopathen gab es über die vergangenen 200 Jahre immer wieder Austausch, ob und in wieweit auch an Tieren Arzneimittelprüfungen durchzuführen seien.
Hahnemann selbst erachtete es als zwingend notwendig, um die Unterschiede zwischen den menschlichen und den tierischen Symptomen erkennen zu können. In der Praxis haben sich verschiedene Versuche dazu aber als unzureichend in den Ergebnissen erwiesen. Selbst bei möglichst wissenschaftlich sauber aufgestellten Versuchsreihen mit unterschiedlichen Tierarten, gab es nicht die gewünschte Deutlichkeit in der Gesamtsymptomatik, um zu rein tier-relevanten Arzneimittelbildern zu kommen.
Dies lag und liegt auch daran, dass Menschen in der Interpretation des tierischen Ausdruckes bezüglich der Geistes- und Gemütssymptome, aber auch der „fühlt sich an, als ob – Symptome“ deutlich eingeschränkt sind.
Tierhomöopathie in der Praxis
In der Praxis hat es sich als ausreichend erwiesen, die Symptome, die im Arzneimittelbild vorhanden sind, auf die verschiedenen Tiere anzuwenden. Das gelingt bei Hunden, Pferden oder Kühen etwas leichter als bei Katzen oder Meerschweinchen.
Führend in der Anwendung und Weitergabe der Erkenntnisse waren seit den 1950ern einige Tierärzte: Wolter, Wolff, Farè, Hamalcik, King, Millemann, Steingassner, Krüger, Rackow und Rackow, Bär, Westerhuis, Tiefenthaler (die Auflistung ist beispielhaft und nicht vollständig).
Wenn man Geistes- und Gemütssymptome der Tiere zur Bestätigung einer Mittelwahl im Bereich Verletzungen, OP-Nachsorge o.ä. zu Hilfe nimmt, sind die psychologischen Kernaussagen der jeweiligen Mittelbilder ein letztes Puzzleteil zur Mittelfindung.
Deutlich schwieriger wird es, wenn man im Bereich Verhalten hilfreich eingreifen möchte und nur wenige oder gar keine körperlichen Symptome vorfindet, die einem die Richtung bestätigen können.
Von der Tierhomöopathie zur Verhaltenshomöopathie
Als ich anfing, die psychologische Homöopathie von Autoren wie Coulter und Bailey bei Hunden anzuwenden, schüttelten so manche den Kopf. 1998 waren Tiermediziner und Tierheilpraktiker in der Verhaltenstherapie selten, ja die Verhaltenstherapie selbst steckte noch in den Kinderschuhen.
Die verhaltens-relevanten Bezüge in den tierhomöopathischen Arzneimittelbildern waren überwiegend oberflächlich. Nach jahrelangem Lesen der psychologischen Arzneimittelbilder habe ich unzählige Stunden mit Hundetrainern, Besitzern und mit deren Hunden verbracht. Die Ergebnisse dieser Bemühungen und die Erkenntnisse aus 15 Jahren Tierheilpraxis, habe ich unter dem Begriff Verhaltenshomöopathie in verschiedenen Konstitutionsmitteln für Hunde zusammengefasst.
Eingehende Kenntnis von Tierverhalten ist zwingende Voraussetzung, wenn man verhaltens-homöopathisch arbeiten möchte. Dazu kommt ein Gefühl für die jeweilige Situation, die Bedingungen der Umgebung, die Besitzer, die Interaktionen zwischen allen Beteiligten. Hunde erscheinen uns oft je nach Ort und Bezugspersonen ganz unterschiedlich. Es ist eine Herausforderung, den roten Faden in der Persönlichkeit des Hundes zu finden, ohne ihm oder ihr eine vorgefertigte Meinung aufzudrücken und das entsprechende Konstitutionsmittel gleich dazu.
Die Detektivarbeit lohnt sich aber in sehr vielen Fällen. Gerade Hunde in sensiblen Altersstufen, in Entwicklung, profitieren von einem sorgfältig ausgewählten Konstitutionsmittel (bildet eine bestimmte Grundkonstitution in ihrer Symptomatik ab).
Beispiele für die Anwendung
z.B. Hunde, die trotz bester (tierärztlicher) Versorgung rappeldünn sind und sich auf nichts auch nur eine Minute konzentrieren können und Training für alle furchtbar anstrengend ist.
Bei Hunden, die chronisch mit Ängsten zu kämpfen haben.
Oder bei Hunden, die ihre Kontrollsucht oder ihre Aggressionen zu anstrengenden und unangenehmen Zeitgenossen macht.
Hundetraining + Verhaltenshomöopathie
Ein gut ausgewähltes Arzneimittel machte in vielen Fällen ein Training oder ein Umlernen des Hundes erst möglich. Die Verhaltenshomöopathie ist besonders mit der gleichzeitigen, fachkundigen Begleitung durch eine(n) HundetrainerIn zielführend. Zusammen können beide Methoden oft Wunderbares bewirken.
Ein Fallbeispiel wird im nächsten Blogartikel vorgestellt.
Quellen zur Historie:
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2006-938322